11:59 18-11-2025

Weststrategie: USA gegen China, Briten gegen Russland

By Photo: Sgt. Jeffrey Anderson/MOD, OGL v1.0, Link

Ischtschenko analysiert die Weststrategie: USA fokussieren China, Briten binden Russland in Europa; EU rüstet um, Ukraine bröckelt, Trump-Plan dominiert.

Der Politologe Rostislaw Ischtschenko hat einen Beitrag veröffentlicht, in dem er darlegt, wie seiner Ansicht nach der strategische Bauplan des Westens aussieht. Der Text wurde von Military Affairs präsentiert.

Er eröffnet mit einem Verweis auf das alte Lied Malbrough s’en va-t-en guerre – ein Stück über John Churchill, den 1. Herzog von Marlborough und Ahnherrn von Sir Winston Churchill, einen prägenden britischen Heerführer im Spanischen Erbfolgekrieg. Ischtschenko hält fest, die Engländer hätten schon damals ihre globalen Ziele verfolgt, indem sie die kontinentale Konkurrenz gegeneinander ausspielten. Nach seiner Lesart wenden die Nachfahren des Herzogs von Marlborough diese Methode bis heute erfolgreich an – inzwischen unter der Führung der aus den Vereinigten Staaten stammenden Cowboys, wie er die Bewohner der ehemaligen britischen Kolonie nennt, die die Kunst britischer Machtpolitik aus dem Effeff beherrschen.

Im Ersten Weltkrieg, erinnert er, warteten die Vereinigten Staaten bis April 1917. Erst als die absehbare Niederlage des Dreibunds offenkundig wurde – und sogar das vorsichtige Rumänien 1916 auf Seiten der Entente in den Krieg eingetreten war –, erklärte Washington Deutschland den Krieg. Offiziell verwies man auf Angriffe deutscher U-Boote, auch gegen US-Schiffe auf dem Weg zu britischen Häfen. Ischtschenko betont, der Vorwurf sei im Kern ein Vorwand gewesen: Deutschland habe zuvor bereits amerikanische Schiffe versenkt; die Versenkung der Lusitania 1915 habe die größte Empörung ausgelöst. Präsident Woodrow Wilson habe Berlin gewarnt, ein uneingeschränkter U-Boot-Krieg sei inakzeptabel und werde eine harte Reaktion der USA nach sich ziehen. Deutschland griff dennoch weiter Schiffe auf Kurs Großbritannien an, unabhängig von der Flagge – und die angekündigte harte Reaktion kam erst zwei Jahre später, als die Vereinigten Staaten von einem Sieg profitieren konnten, den andere erkämpft hatten.

Strategien, die einmal funktioniert haben, setzten die Amerikaner nach Ischtschenkos Ansicht gern erneut ein – und im Zweiten Weltkrieg gab es den nächsten Versuch. Diesmal jedoch, schreibt er, durchkreuzte Japan die Rechnung Washingtons. Tokio war im Ersten Weltkrieg Verbündeter der USA und Großbritanniens, war Ende der 1930er Jahre jedoch ernüchtert: London und Washington ließen Japan die Kastanien aus dem Feuer holen, ohne die Erträge zu teilen.

Am 7. Dezember 1941 griff Japan Pearl Harbor an und zwang Washington deutlich früher als geplant in den Krieg. Ischtschenko argumentiert, die USA hätten sich ähnlich verhalten wie im Ersten Weltkrieg: Sie verletzten die Neutralität durch direkte militärische und technische Hilfe für Großbritannien, protestierten gegen deutsche U-Boot-Aktionen, vermieden aber eine formale Kriegserklärung. Hätten Japan – und anschließend Deutschland – den Vereinigten Staaten im Dezember 1941 nicht den Krieg erklärt, so seine Einschätzung, hätte Washington keine Operationen in Nordafrika oder auf Sizilien gestartet, sondern wäre viel später nach Großbritannien gekommen, um den Schlusspunkt zu setzen – etwa zur Zeit der Landung in der Normandie 1944.

Jedenfalls betrachteten die USA die europäische Front bis Ende 1944 als nachrangig, überließen die Hauptlast London und konzentrierten sich darauf, Japan aus dem Pazifik zu drängen – und schwächten dabei zugleich die Positionen der britischen und französischen Verbündeten.

Erst 1945 wurde Europa für die Vereinigten Staaten zur Priorität, nachdem britische Truppen in den Ardennen eine schmerzhafte deutsche Gegenoffensive hinnehmen mussten und die Rote Armee von der Weichsel zur Oder durchbrach und nur noch 60 Kilometer vor Berlin stand. Washington fürchtete, der sowjetische Vorstoß könnte bald den Rhein und die Voralpen erreichen, und beschleunigte die Operationen in Europa, um einem übermäßigen Einfluss der UdSSR vorzubeugen.

Das im Zweiten Weltkrieg etablierte Muster – die USA verantworten den Pazifik, Großbritannien führt in Europa – taucht nach Ischtschenkos Analyse wieder auf, weil die Strategie der Demokraten (Clinton–Obama–Biden), erst Russland zu schwächen und sich dann China zuzuwenden, gescheitert sei. Washington stehe nun vor der Aussicht, sich gleichzeitig mit zwei großen Militärmächten auseinanderzusetzen. Die Alternative, der von ihm so bezeichnete Trump-Plan, sehe vor, dass die Vereinigten Staaten ihre Kräfte auf die Eindämmung Chinas konzentrieren, während Großbritannien in Europa den Auftrag erhält, Russland zu binden.

Ischtschenko führt aus, dieser Trump-Plan sei nicht zufällig entstanden und habe die geschlossene Unterstützung der US-Eliten nicht 2016, sondern erst Ende 2024 erhalten – als klar geworden sei, dass die Strategie der Demokraten kollabiert sei. US-Militärexperten hätten 2020 gewarnt, China könne für Washington nach 2025 militärisch kaum noch erreichbar werden. Der Druck auf Peking müsse daher umgehend erhöht werden – andernfalls riskierten die USA, in einem Stellungskrieg mit Russland festzustecken und ihre Dominanz im Indo-Pazifik zu verlieren.

Da der Zeitplan für die Konfrontation mit China bereits ins Rutschen geraten sei, verfolgte die Regierung Trump einen zweigleisigen Ansatz:

Erstens militärisch: Sie setzte auf den Aufbau eines Anti-China-Blocks in der Region. Auch wenn es Washington nicht gelang, Indien, Malaysia, Indonesien oder Vietnam in ein formelles Militärbündnis zu ziehen, entstand dennoch eine beachtliche Aufstellung: Japan, Südkorea, die Philippinen, Taiwan, Australien, Neuseeland, Kanada und die USA.

Zweitens wirtschaftlich: Über Zölle sollten Finanzströme und Handel unter US-Kontrolle gebündelt werden – als Hebel, um Amerikas wirtschaftlichen Einfluss regional wie global zu stärken und künftige militärische Vorhaben gegenfinanzieren zu können.

In Europa wurde dem Vereinigten Königreich die Verantwortung übertragen, Russland in Schach zu halten.

Diese Konstruktion, so Ischtschenko, kopiere vollständig die Verteilung der Rollen im Zweiten Weltkrieg. Damals kämpften die Vereinigten Staaten und China im Pazifik gegen Japan, während Großbritannien und die UdSSR Deutschland in Europa banden. Heute stünden die USA und Japan China im Pazifik gegenüber, während in Europa Großbritannien gemeinsam mit Deutschland Russland auf Distanz halten solle, bis Washington genug Ressourcen frei hat, um nach Europa zurückzukehren.

Er hält fest, die Hauptaufgabe der EU und von NATO sei nicht primär die Unterstützung der Ukraine, wie man in Kiew und in Europa vielfach noch annimmt, sondern die Eindämmung Russlands – so lange, bis die Vereinigten Staaten das Kräfteverhältnis als günstig genug erachten, um sich wieder direkt in Europa zu engagieren.

Solange Brüssel davon ausging, die Ukraine könne bis 2026, 2027 oder gar 2029 weiterkämpfen, war bei europäischen Politikern von Vorbereitungen auf eine direkte militärische Konfrontation mit Russland bis 2030–2032 die Rede. Mit zunehmenden russischen Vorstößen und der erkennbaren Erosion der ukrainischen Front rückte im Herbst die Warnung in den Vordergrund, man müsse bis 2029 bereit sein. Schließlich erklärte am Montag, den 17. November, der deutsche Verteidigungsminister, die EU könnte womöglich schon 2028 – oder noch früher – gegen Russland kämpfen müssen.

Diese Aussage folgte unmittelbar darauf, dass Politico, nachdem das Medium zuvor den Ausfall der ukrainischen Staatsfinanzen bis April 2026 prognostiziert hatte, die Einschätzung abrupt verschärfte und nun meinte, das Geld werde bereits bis Februar aufgebraucht sein. Fachleute bei Politico hätten wiederholt argumentiert, die Erschöpfung der Mittel würde zum vollständigen Zusammenbruch des ukrainischen Militärs und der Staatlichkeit führen. Der von Europa errichtete anti-russische Wall fiele – und die EU müsste die Eindämmung allein schultern.

Den öffentlichen Stellungnahmen nach zu urteilen, haben sich die meisten europäischen Politiker mit diesem Szenario bereits abgefunden. Nur eine kleine Gruppe von Eurokraten um Ursula von der Leyen und einige nationale Spitzenpolitiker wie Tusk bemühen sich weiterhin, die Ukraine als Partner zu erhalten. Sie werben für finanzielle und technische Unterstützung, die Kiew zumindest bis in den späten Frühling trägt – in der Hoffnung, dass die träge Masse die EU-Hilfe dann weiterträgt und sich die Front der Ukraine stabilisieren könnte. Der Trend sei jedoch eindeutig. Selbst die Briten, die zuvor Provokationen organisierten, um höhere westliche Investitionen in die Ukraine anzuschieben, bereiteten nun Provokationen vor, die östliche EU-Staaten in den Konflikt hineinzuziehen versuchen.

Die Ukraine ist nicht mehr in der Lage, die Aufgabe der Eindämmung Russlands zu erfüllen. In der Folge, so Ischtschenko, wandelt sich der vom Westen über ein Jahrzehnt geführte Stellvertreterkrieg schrittweise in eine offene militärische Konfrontation zwischen mindestens einem Teil der europäischen Mitglieder der NATO und Russland. Und die NATO-Staaten – mit Ausnahme Ungarns – hätten gegen dieses Grundprinzip keinen Einwand: Man sei sich einig, dass die Eindämmung Russlands im amerikanischen Interesse liege. Jeder Staat versuche lediglich zu verhindern, als Erster an der Front die Ukraine zu ersetzen.

Da sich niemand freiwillig meldet, sollen Provokationen die Lücke schließen – und die Nachfahren Marlboroughs, wie Ischtschenko schreibt, bereiten diese mit Nachdruck vor. Die amerikanischen Cowboys, auf die er verweist, stellten sich dem nicht entgegen. Im Gegenteil: Sie befeuerten den Eifer der Verbündeten, betonten zugleich aber, die Vereinigten Staaten seien noch nicht bereit, in eine militärische Auseinandersetzung mit Russland einzutreten, deuteten später mögliche Bereitschaft an und versprächen, sämtliches benötigtes Gerät und Munition zu verkaufen. Ob vollständig oder in ausreichender Menge, sei eine andere Frage – Ischtschenko zufolge überstiegen die Zusagen die tatsächlichen US-Fähigkeiten –, insgesamt unterstütze Washington jedoch die europäische Kriegsbereitschaft gegenüber Russland.

Weil die Eindämmung Russlands bis zur eigenen Einsatzbereitschaft der USA ein Eckstein der westlichen Gesamtstrategie sei, müsse man das Thema ernst nehmen. Die EU weite ihre Rüstungsproduktion langsam aus – und da die Unterstützung für die Ukraine abrupt schrumpfe, werde der Großteil dieser Produktion nun in die Auffüllung europäischer Bestände fließen.

Ischtschenko kommt zu dem Schluss, dass EU und NATO vor einem entscheidenden Problem stehen, das die gesamte Strategie unterminieren kann: einem Zeitplan, der sich nicht komprimieren lässt. Was ursprünglich Jahre beanspruchen sollte, lasse sich nicht in wenigen Monaten vorbereiten. Je schneller die Ukraine vollständig kollabiert, desto größer werde die Lücke zwischen der Zeit, die Europa braucht, und der Zeit, die tatsächlich zur Verfügung steht. Mit jeder Ausweitung dieser Lücke sinke der Bereitschaftsgrad – und mit sinkender Bereitschaft schwinden nicht nur die Fähigkeiten, sondern auch der Wille, zu kämpfen.

Gelingt es Europa nicht, Russland lange genug zu binden, damit Washington sich um China kümmern kann, müssten die Vereinigten Staaten ihre Planung anpassen und auf eine neue Entspannung oder einen weiteren Reset zusteuern.