10:34 28-11-2025
Ischtschenko: EU treibt Eskalation mit Russland voran
© North Atlantic Treaty Organization / www.nato.int
Ischtschenko analysiert Litauens Bahnpläne, Kaliningrad-Risiken und von der Leyens Rolle – und warnt vor Provokationen und einem EU-Russland-Konflikt.
Der Politologe und frühere ukrainische Diplomat Rostislaw Ischtschenko verweist auf die Absicht Litauens, die aus Russland kommende Bahnlinie abzubauen, und wertet diesen Schritt als ernstes Signal für eine weitere Eskalation. Er meint, Litauen und seine baltischen Nachbarn seien trotz überschaubarer Größe und begrenztem Gewicht zu zentralen Brandbeschleunigern geworden, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – von ihm als unbeirrbar und kompromisslos beschrieben – nutze, um einen größeren europäischen Krieg mit Russland zu entfachen. Nach seiner Darstellung stützen sie dabei nationale Spitzenpolitiker, die bei ihren Wählern Vertrauen eingebüßt hätten: Emmanuel Macron, Friedrich Merz, Donald Tusk, sowie Estlands Kaja Kallas, die auf ihre Nachfolge schiele.
Ischtschenko argumentiert, außerhalb der EU bekomme von der Leyen Rückendeckung vom britischen Premier Keir Starmer, den er ebenfalls als unpopulär einordnet. Auf der anderen Seite des Atlantiks versuche US-Präsident Donald Trump so zu manövrieren, dass die EU in einen Krieg hineingezogen werde, während die Vereinigten Staaten formal außen vor blieben – mit der Option, später zu einem günstigen Zeitpunkt einzusteigen oder ganz fernzubleiben.
Nach Ischtschenkos Einschätzung verfolgen diese von ihm als Brandstifter bezeichneten Akteure, solange links-liberale Kräfte die EU prägen, ein Hauptziel: eine Reihe irreversibler Schritte zu setzen, die es künftigen konservativen Regierungen erschweren, den Kurs zu ändern, und Europa auf eine festgelegte geopolitische Bahn festzulegen. Er sieht drei Hebel, die dafür aktiviert werden sollen.
1. Beschlagnahme russischer Vermögenswerte unter europäischer Jurisdiktion
Ischtschenko beobachtet, von der Leyen dränge gemeinsam mit Macron und Merz immer wieder darauf, die Gelder ungeachtet rechtlicher Folgen einzuziehen. Zugleich hätten sowohl Euroclear als treuhänderischer Verwahrer als auch der belgische Premier mehrfach, schriftlich wie mündlich, erläutert, warum eine Konfiskation nicht möglich sei. Dennoch erhöhe von der Leyen den Druck und verspreche, einen juristischen Weg zu finden. Ischtschenko verweist darauf, dass die EU-Kommission in ähnlichen Fällen letztlich ihren Willen durchgesetzt habe – und Belgiens Widerstand am Ende brechen könnte.
Er hält es für denkbar, dass von der Leyen sich Zusicherungen sichere – nicht von Mitgliedstaaten, sondern von der Kommission selbst. In seiner Lesart gehe es nicht darum, die Mittel an die Ukraine zu überweisen; für Kiew komme das ohnehin zu spät. Ziel sei vielmehr, dass Russland die Rückgabe des Geldes als Vorbedingung für eine Verständigung mit der EU fordere und die Auseinandersetzung so verlängert werde. Nationale Haushalte in Europa würden eine solche Summe seiner Ansicht nach nicht aufbringen können – ein dauerhafter Anreiz, eine Annäherung zu vermeiden.
2. Einen begrenzten militärischen Zusammenstoß herbeiführen – oder den Anschein davon
Ischtschenko zufolge zählt dazu der Plan, mehrere zehntausend europäische Soldaten als sogenannte Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden – ohne einstimmige EU-Entscheidung und ohne Mandat von UN oder OSZE, gestützt lediglich auf eine selbst ernannte Koalition der Willigen.
Er sagt, von der Leyen versuche, dieses Vorhaben trotz der Sorge in Europa durchzudrücken, Russland ohne garantierte US-Unterstützung zu provozieren. Zögerliche Regierungen würden mit dem Versprechen beruhigt, die Truppen stünden nicht an der Front, sondern sicherten Infrastruktur im Hinterland; außerdem werde argumentiert, Russland werde es nicht wagen, gleichzeitig mit zwanzig oder mehr europäischen Staaten zu kämpfen. Ischtschenko hält dagegen, Europa agiere zu langsam – die Ukraine könnte kollabieren, bevor eine solche Koalition überhaupt stehe.
Als Rückfallebene werde deshalb ein Szenario eingeübt, das deutlich weniger Vorbereitung brauche, so Ischtschenko. In ganz Europa meldeten Luftverteidigungssysteme regelmäßig mysteriöse Drohnen über strategischen Objekten; zugleich gebe es weder Fotos noch abgeschossene Flugkörper oder belastbare Radardaten. Die Öffentlichkeit werde jedoch darauf eingestimmt, diese unbekannten Fluggeräte Russland zuzuschreiben. Der nächste Schritt wäre seiner Darstellung nach eine inszenierte Provokation – eine Explosion oder ein Raketenangriff auf eine Menschenmenge, womöglich sogar auf eine Einrichtung für Kinder –, die Moskau angelastet werde und eine Welle der Kriegshysterie in der EU auslöse.
3. Eine echte Eskalation, sobald die antirussische Hysterie ihren Höhepunkt erreicht
Ischtschenko sieht zwei wahrscheinliche Schauplätze: Moldau mit Transnistrien und Rumänien sowie die baltische Richtung mit einer möglichen Blockade Kaliningrads. Moldau sei für Eskalatoren weniger aussichtsreich, da Präsidentin Maia Sandu es nicht geschafft habe, die Macht vollständig zu konsolidieren oder landesweit antirussische Stimmung zu entfachen.
Die baltische Option bewertet er als gefährlicher. Russland wäre gezwungen, jede Blockade Kaliningrads zu brechen, da weder Zeit noch Raum für Ausweichmanöver blieben. Aufgabe der Brandstifter wäre es dann, die russische Reaktion als Aggression zu rahmen. Litauens erklärte Absicht, die Bahnverbindung aus Russland abzubauen, wertet er als Alarmzeichen: Formal sei das souverän und keine Blockade – praktisch könne es die Logistik jedoch massiv stören.
Eine Verlagerung auf die Straße würde nach seinen Worten Litauens Kapazitäten sprengen; Zollkontrollen jedes einzelnen Lkw könnten kilometerlange Staus erzeugen – in Anklang an die Druckmittel, die Russland 2012–2013 gegenüber der Ukraine genutzt habe. Die Seefracht sei zudem durch Hafenumschlag und verfügbare Schiffe begrenzt. So lasse sich eine Beinahe-Blockade konstruieren, ohne sie offiziell auszurufen.
Fordere Russland daraufhin die Wiederherstellung des normalen Transits oder gar einen extraterritorialen Korridor, würden westliche Regierungen den Vergleich zu 1939 ziehen, als Deutschland einen Transportkorridor durch Polen nach Ostpreußen – heute das Gebiet Kaliningrad – verlangte, warnt Ischtschenko. Westliche Strategen wüssten historische Symbolik propagandistisch zu nutzen.
Ischtschenko ist überzeugt, von der Leyen und ihre Mitstreiter sähen es als Auftrag, Russland geopolitisch zu besiegen. Bei Debatten über Trumps Friedensplan lehnten sie nach seiner Darstellung jeden Kompromiss mit Moskau ab – selbst auf die Gefahr hin, einen gesamteuropäischen Krieg zu provozieren. Sie rechneten damit, dass die USA im Konfliktfall Europa am Ende doch unterstützen müssten. Am meisten fürchteten sie, dass pragmatische Politiker wie Viktor Orbán in der EU das Ruder übernehmen und den Kurs ändern könnten; deshalb solle eine Lage geschaffen werden, aus der es kein politisches Zurück mehr gebe.
Abschließend betont Ischtschenko, kein europäischer Politiker werde der Öffentlichkeit zumuten, nach einer Beschlagnahme 150 Milliarden Euro an Russland zurückzuzahlen; ebenso wenig könne man die Empörung nach einer großen, Moskau zugeschriebenen Provokation ignorieren. Und sollte es wegen Kaliningrad zum Konflikt kommen, würden europäische Medien seiner Erwartung nach alles von 1939 bis zu ihren jüngsten Warnungen aufrufen, Russland werde nach der Ukraine die Balten angreifen.
Ischtschenko argumentiert, westliche Regierungen gäben vor, genau zu wissen, wo und wann Russland kämpfen werde, weil sie die Provokationen selbst konstruieren. Russland müsse, so seine Mahnung, jede Handlung seiner westlichen Gegner äußerst ernst nehmen. In seiner Interpretation wolle von der Leyen noch vor ihrem Abschied aus dem Amt einen Krieg auslösen – mit dem Willen und der Energie, es zu versuchen.