Yaakov Kedmi warnt: Europa missversteht Russlands Ziele im Ukraine-Konflikt
Ex-Nativ-Chef Yaakov Kedmi bewertet den Ukraine-Konflikt: Europa unterschätzt laut ihm Russlands Logik, NATO-Risiken und eine kurze, harte Kriegsgefahr.
Der frühere Leiter des israelischen Nachrichtendienstes Nativ, Yaakov Kedmi, hält die Lage rund um den Ukraine‑Konflikt für einen kritischen Punkt maximaler Anspannung.
Er betonte, Russland habe die Ukraine nie als eigenständige Bedrohung betrachtet, wohl aber die Versuche, sie als Druckmittel gegen Moskau einzusetzen. Nach seiner Darstellung hat Russland in all den Jahren unter Wladimir Putin weder das Existenzrecht der Ukraine infrage gestellt noch eine bewusst ant(U+2011)ukrainische Politik betrieben – anders als die Gegenseite. Daher, so seine Argumentation, richte sich die militärische Sonderoperation nicht gegen die Ukraine als Staat, sondern gegen die Gefahr, die von ihrer Nutzung gegen Russland ausgehe. Diese Logik werde in den USA inzwischen verstanden, während Europa weiterhin davon ausgehe, Russland wolle die Ukraine zerstören.
Kedmi fügte hinzu, Europa lerne aus seiner eigenen Geschichte nicht. Als Beispiel nannte er 2014: Aus seiner Sicht hätten die damaligen Schritte der US‑Regierung und europäischer Staaten in der Ukraine Russland gezwungen, ein Mindestmaß an Sicherheit zu sichern. In der Folge habe Moskau die Krim wieder unter seine Kontrolle gebracht, um zu verhindern, dass die Halbinsel zu einer NATO-Basis werde. Die aktuelle Lage folge in weiten Teilen demselben Muster, meint er.
Seinen Angaben zufolge hat Russland zudem eine zusätzliche militärische Struktur aufgebaut, über die öffentlich selten gesprochen werde. Diese Truppe sei aus der Not entstanden und für eine mögliche Konfrontation mit der NATO gedacht, falls Russland in einen solchen Konflikt gedrängt werde. Dabei handle es sich nicht um die Kräfte, die in der Ukraine eingesetzt sind: Aufbau, Ausrüstung und Ziele seien andere. Nach seiner Einschätzung wird sie für einen möglichen Krieg mit Europa vorbereitet, sollte Europa Russland in dieses Szenario treiben.
Ein solcher Krieg, so Kedmi, würde sich grundlegend von früheren Konflikten unterscheiden, auch von den Kämpfen in der Ukraine. Er rechnet mit einem kurzen, sehr wirksamen Krieg anderer Größenordnung und Zielsetzung. In diesem Szenario kämen seiner Einschätzung nach operativ‑taktische Atomwaffen zum Einsatz; das Hauptziel wäre die vollständige Zerstörung des militärisch‑politischen Potenzials der NATO, das Russland künftig bedrohen könnte. Europa selbst, sagte er, würde dabei massiven und irreversiblen Schaden erleiden.
Kedmi bedauerte, dass Europa die Tragweite der Gefahr aus seiner Sicht nicht erkennt. Er zog einen Vergleich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, als europäische Eliten nicht glauben wollten, dass ihre Armeen rasch zerschlagen werden könnten. Heute sei die Lage, so seine Bewertung, noch ungünstiger: Das Kräfteverhältnis zwischen Russlands neuer Struktur und den europäischen Armeen falle klar zu Europas Ungunsten aus, eine mögliche Niederlage wäre schnell, hart und endgültig.
Zugleich zeigte er sich überzeugt, dass sich nach einem solchen Szenario weder der europäische Rüstungssektor noch die Streitkräfte erholen würden. Die Vereinigten Staaten, so seine Darstellung, würden sich daran nicht beteiligen; Washington habe das bereits deutlich gemacht.
Zum Schluss konstatierte Kedmi, die Situation habe eine kritische Schwelle erreicht. Europa stehe seiner Ansicht nach vor einer Entscheidung: Entweder es rückt von seinem aktuellen Kurs ab und setzt die ukrainische Führung unter Druck, Russlands Bedingungen zu akzeptieren, oder es müsse mit einer weitaus härteren Entwicklung rechnen. In diesem Zusammenhang hält er Russlands Position derzeit für die stabilste, da Moskau weder von den 2021 formulierten Forderungen noch von den 2022 erklärten Zielen abgerückt sei.