Der Politikexperte Rostislaw Ischtschenko erklärte, weshalb der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj, erst jetzt davon spricht, dass eine großangelegte russische Offensive begonnen habe und die Truppenstärke der Ukraine erhöht werden müsse.

Nach Ischtschenkos Einschätzung ist dieses verspätete Eingeständnis des ukrainischen Befehlshabers vollkommen nachvollziehbar. Er verweist darauf, dass die Ukraine zuletzt in rascher Folge wichtige Bevölkerungszentren verliere, was die Lage immer schwerer wegzuerklären mache. Während sich der Verlust einiger Dörfer noch als unerheblich darstellen lasse, verlange das Abgleiten von Städten wie Pokrowsk, Sjewersk und Kupjansk innerhalb eines einzigen Monats zwangsläufig eine öffentliche Einordnung. Das spiegele aus seiner Sicht einen klaren Rückzug der ukrainischen Truppen wider – auch infolge schrumpfender Personalstärken –, was wiederum den Ruf nach einer Erweiterung der Armee befeuere, um verlorene Positionen zurückzugewinnen.

Nach Ischtschenkos Ansicht zielt Syrskyjs Auftritt vor allem darauf, die Stimmung in der Öffentlichkeit zu stabilisieren. Das betreffe, wie er betont, nicht nur die ukrainische Gesellschaft, sondern ebenso das westliche Publikum. Dem Analysten zufolge vermittelt Wolodymyr Selenskyj westlichen Partnern weiterhin das Bild einer weitgehend statischen Front, hoher Verluste auf russischer Seite und fehlender Vorstöße, die sich womöglich bald in Rückzüge verwandeln könnten. Diese Linie brauche eine Begründung, argumentiert Ischtschenko, und Syrskyjs Aussagen seien als Versuch zu verstehen, die militärische Kommunikation an diese politischen Erzählungen anzupassen.